Internationale Fachkräfte: Mann in einer Werkstatt erklärt drei jungen Männern ein Metallwerkstück.
Kurzbesprechung in der Produktionshalle: Geschäftsführer Helge Zink, Auszubildender Oualid Mahboub, Ausbilder Aljoscha Raschke und Vertriebsleiter Nicolas Busch (von links nach rechts).

Marrakesch, 2019. Oualid Mahboub hat einen Plan: Der damals 20-Jährige will nach Deutschland, dort Arbeit finden, Karriere machen. Das Abitur hat Mahboub schon in der Tasche. Er will sich Richtung Elektrotechnik orientieren, Praktika in dem Bereich hat er schon gemacht. Grundsätzlich kann in Deutschland jeder eine Ausbildung machen. Wer aus einem Nicht-EU-Land kommt, muss jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllen, Zeugnisse anerkennen lassen, ein Visum beantragen und Sprachkenntnisse auf dem Level B1 oder B2 nachweisen können.

Mahboub beginnt, Deutsch zu lernen – in Eigenregie, mit Online-Tutorials bei You-Tube. Er legt Prüfungen beim Goethe-Institut ab, ist damit offiziell bei Sprachlevel B2.Über eine Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit bewirbt er sich auf einen Ausbildungsplatz bei der Langer E-Technik GmbH, einem Elektro- und Energietechnikunternehmen aus Varel in Friesland. Nach ausführlichen Gesprächen per Videokonferenz ist die Sache klar. Im August 2022 beginnt Mahboub seine Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. „Wir waren alle total beeindruckt von Oualid und seiner Motivation“, erinnert sich Helge Zink, Geschäftsführer von Langer E-Technik. Die Entscheidung, Mahboub einzustellen, sei schnell gefallen.

Internationales Umfeld

Mittlerweile läuft das zweite Lehrjahr für den Marokkaner. Eine Sonderstellung im Betrieb aufgrund seiner Herkunft hat er nicht: Von den 110 Beschäftigten bei Langer E-Technik haben insgesamt 16 eine andere Nationalität als die deutsche. Acht von ihnen sind eigens für den Job in Varel hergekommen.

Das Unternehmen hat sich schon vor einigen Jahren bewusst dafür entschieden, Bewerbungen aus dem Ausland eine Chance zu geben. „Der Fachkräftemangel trifft auch uns. Da muss man eben über den Tellerrand hinausgucken, um gutes Personal zu finden“, sagt Zink.

Mit dieser Einstellung ist Langer E-Technik keine Ausnahme: Knapp jedes dritte Unternehmen in Deutschland beschäftigt aktuell oder hat in den zurückliegenden drei Jahren internationale Fachkräfte beschäftigt, die gezielt zur Arbeitsaufnahme ins Land gekommen sind. Das zeigen Zahlen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA), einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Als sich zum ersten Mal eine junge Frau aus dem Iran für eine Stelle als Konstrukteurin und technische Zeichnerin bewarb, hatte Zink erst einmal Zweifel: „Da will jemand von weit herkommen, um hier bei uns zu arbeiten. Da haben wir uns natürlich Gedanken gemacht: Was ist mit der Sprachbarriere? Was ist, wenn es schiefgeht?“, erzählt er. Das erste Gespräch mit der Bewerberin habe seine Zweifel aber zerstreut. Die Iranerin brachte gute Deutschkenntnisse mit. Sie hatte sich darüber hinaus eine im Iran eigentlich nicht verfügbare Software besorgt, die sie brauchte, um eine vom Unternehmen gestellte Einstiegsaufgabe zu lösen.

Internationale Fachkräfte: Mann mit Blatt Papier erklärt jungem Mann mit Migrationshintergrund einen Schaltschrank.
Theorie und Praxis: Ausbildungsleiter Finn Hanke erkärt den nächsten Arbeitsschritt.

Arbeitsschutz von Anfang an

Im ersten Lehrjahr durchlaufen Auszubildende bei Langer E-Technik alle Abteilungen. Im zweiten können sie entscheiden, in welcher Abteilung sie künftig arbeiten möchten. Oualid Mahboub hat sich für den Service entschieden. Er wird künftig vor allem für Privatkundinnen und -kunden im Einsatz sein – etwa bei der Installation von Photovoltaikanlagen. „Das Themenfeld erneuerbare Energien interessiert mich und der Kontakt mit Menschen macht mir Spaß. Das passt also gut“, sagt Mahboub. Der inzwischen 24-Jährige hat bereits einen Führerschein für Hebe- und Hubarbeitsbühnen. Seine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) gegen Absturz legt er ebenso routiniert an, wie er Kabel abisoliert.

Internationale Fachkräfte: Junger Mann mit Migrationshintergrund. Er trägt ein dunkles T-Shirt und eine Schutzausrüstung.
Die PSA gegen Absturz (PSAggA) legt Mahboub inzwischen routiniert an.

Arbeitsschutz spielt bei der Ausbildung im Betrieb eine große Rolle. Schon in den ersten Wochen lernen die Nachwuchskräfte Grundlegendes wie den richtigen Einsatz verschiedener Werkzeuge und ihrer PSA oder die fünf Sicherheitsregeln. Sie erfahren, wozu eine Gefährdungsbeurteilung da ist, und lernen etwas bei den vorgeschriebenen Unterweisungen. Dazu kommen Theorie und Praxis in der betriebseigenen Ausbildungswerkstatt sowie Online-Lehrgänge rund um Arbeitssicherheit. „Wichtig ist, dass die Azubis fragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben – sei es sprachlich oder inhaltlich“, betont Finn Hanke, Ausbildungsleiter bei Langer E-Technik. Ohne Kommunikation gehe es nicht.

Für Mahboub ist es selbstverständlich, die umfangreichen Arbeitsschutz-Vorgaben zu kennen und sich daran zu halten. „Sie schützen mich und die anderen“, sagt er. Arbeitssicherheit habe in Deutschland einen noch höheren Stellenwert als in Marokko: „Das fällt mir rückblickend immer mal wieder auf, und das finde ich gut.“

Der ständige Austausch mit seinem Ausbilder und seinen Kolleginnen und Kollegen haben von Anfang an dafür gesorgt, dass der 24-Jährige sich bei Langer E-Technik wohlfühlt. Das Unternehmen selbst hat viel investiert, damit ihm und allen anderen internationalen Beschäftigten der Start sowohl im Betrieb als auch in der neuen Heimat möglichst leichtfällt: Es gibt mittlerweile zwei Betriebswohnungen, eine in Varel und eine im nahegelegenen Brake.

In einer davon lebt Mahboub gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen, die für die Ausbildung aus dem Ausland hergekommen sind. Für den Weg zur Arbeit hat der Azubi anfangs ein vom Betrieb gestelltes Fahrrad genutzt, bis sein Führerschein auch in Deutschland anerkannt war – und bis er E-Scooter für sich entdeckte. Nicht nur im Unternehmen, auch in Deutschland ist Mahboub gut angekommen: In seiner Freizeit ist er gern in Varel und Umgebung unterwegs. Aus vielen Kolleginnen und Kollegen sind inzwischen Freundinnen und Freunde geworden. Schwierig war und ist aus Sicht von Mahboub die deutsche Bürokratie. Wer aus einem Nicht-EU-Land nach Deutschland kommen will, auf den kommen viele Formalia zu. Für Mahboub eigentlich kein Problem, aber: „Vieles könnte einfacher, effizienter, schneller gehen.“

Nicolas Busch, Vertriebsleiter bei Langer E-Technik, sieht das genauso: „Wir unterstützen internationale Bewerberinnen und Beweber bei allem Papierkram. Mitunter ist das auch für uns eine Herausforderung“, sagt er.

Offenheit und Ausdauer

Busch hat eine klare Empfehlung für Betriebe, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland einstellen wollen: „Es braucht einerseits ganz viel Offenheit von beiden Seiten – und andererseits Durchhaltevermögen.“ Mangelnde Motivation sei bislang bei keinem internationalen Bewerber, keiner internationalen Bewerberin ein Problem gewesen, sagt Busch: „Die Menschen, die wir einstellen, wollen hierherkommen und etwas reißen. Die können die Sprache oft schon ziemlich gut. Und dann geht es darum, die Integration möglichst reibungslos zu gestalten.“

Geschäftsführer Helge Zink will nichts beschönigen: „Es kostet Zeit und Ressourcen, internationale Beschäftigte einzustellen. Das ist klar.“ Zumal in der Ausbildung alle auf dem gleichen fachlichen Level starten. „Wenn Berufserfahrene aus dem Ausland zu uns wechseln, sind die fachlichen Vorkenntnisse mitunter sehr unterschiedlich und müssen angeglichen werden.“

Für sein Unternehmen sei der Mehrwert aber am Ende größer als die Investition, sagt Zink. Und sicheres Arbeiten sei im Arbeitsalltag von Langer E-Technik ohnehin selbstverständlich: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen abends gesund nach Hause kommen. Ganz egal, wo sie ursprünglich herkommen.“

 

Annika Pabst